The Order (2024) | Film, Trailer, Kritik (2024)

Eine Filmkritik von Niklas Michels

Die Liebe zwischen Gut und Böse

Justin Kurzel dürfte einigen von seinen mit einem großen Budget versehenen Filmen wieAssassin’s Creed (2016) und Macbeth (2015) Verfilmungen bekannt sein. Seine eigene Stimme fand der Australier allerdings erst mit seinem Festivalfilm Nitram (2021), der u.a. in Cannes und London zu sehen war. Dort porträtiert er den Attentäter Martin Bryant, welcher 1996 35 Menschen in Port Arthur erschoss. Bryant galt als kognitiv beeinträchtigt und wurde zur Schulzeit mit einem IQ von 66 bemessen. Kurzel zeigt in Nitram mit nahezu schützender Unschärfe Bryandt Schicksalschläge, welche schlussendlich zur grausamen Tat führten. Nur einen Augenblick ist der Amoklauf zu sehen, der den Film beendet. Im Leben dieses schrecklichen Gewaltverbrechers (der nun mit 35-mal lebenslänglich im Gefängnis sitzt) fand Kurzel Ursachen und Symptome von Gewalt. Anderen Regisseur*innen wäre dieses gewagte Kunststück sicher aus den Händen geglitten, doch in Kurzels Film besteht nie der Verdacht einer Rechtfertigung.

Drei Jahre später knüpft Just Kurzel mit The Order genau dort an, wo er aufgehört hat. Doch statt eines Amoklaufs sehen wir nun Terroranschläge.

1984. Terry Husk (Jude Law) zieht in eine Kleinstadt, um seinen baldigen Ruhestand einzuleiten. Der FBI-Ermittler hat bereits mit dem Ku-Klux-Klan und der Cosa Nostra zu tun gehabt. Doch etwas brodelt in dieser Stadt und die Polizei tut sich gut wegzuschauen. Die Splittergruppe „The Order” – geführt von charismatischem Bob Matthews (Nicholas Hoult) – ist auf dem Weg, eine „weiße Armee“ für den Rassenkampf aufzustellen. Blaupause ist das „Turner Tagebuch“, ein tatsächlich existierender Roman, der als Bibel der Neonazis gilt und bereits für mehrere Terroranschläge (auch in Deutschland) verantwortlich gemacht wurde. Der Film basiert auf wahren Begebenheiten und hangelt sich grob im Leben des Bob Matthews entlang.

Falten, die sich bis in die Knochen graben. Narben wie mit Whisky auf die Haut gemalt. Terry Husk ist in Kontrolle, doch sein Körper zerbröckelt langsam. Die oscarverdächtige Performance von Jude Law trägt diesen Film. Schauspieler wie Liam Neeson hätten die Zerrissenheit von Laws Figur in Action-Banalität versanden lassen. Laws von Schuldgefühlen zerfressene Blicke antizipieren die Urteile des Publikums, als könne er uns durch die Leinwand sehen. Auf den ersten Blick ist The Order nichtsdestotrotz ein gewöhnlicher Crime-Thriller; es gibt die Guten, es gibt die Bösen – am Ende gewinnt eine Seite. Doch unter der körnigen Oberfläche geht mehr vor sich. Wer mag es glauben, doch Kurzel versteckt zwischen all den Action-Szenen eine Liebesgeschichte.

Terry Husk braucht das Böse und Bob braucht das Gute – als Feindbild. Wie kann man sonst GEGEN etwas sein? Heimlich inszeniert Kurzel eine Romanze zwischen dem FBI-Agenten und dem Neonazi. Es ist die wohl unerwartetste des Jahres. Explizit ausformuliert ist dies natürlich nicht, doch spätestens, wenn Terry in ein brennendes Haus stürmt, um Bob zu retten, wird es mehr als deutlich. Blicke sagen plötzlich ‘du bist wie ich’.

The Order hält ungewöhnlich lange auf Gewalt der Polizei, schmückt jedoch die Gegenseite aus. Der Film erhebt keinen moralischen Zeigefinger, sondern möchte das Publikum zum Hinterfragen anregen. Bei Polizeigewalt moralisiert-, bei Gewalt der Terroristen verführt er. Denn wie Joker (2019) sein Publikum in seiner Late-Night-Show-Szene mitreißen und von Gewalt überzeugen will, versucht Kurzel uns konsequent mit Charisma und hell-ausgeleuchteten Bildern zu verführen. The Order zwingt uns, in stetige Abwehrhaltung zum Gesehenen zu treten.

Der amerikanische Traum ist ein Hilfeschrei geworden, wir sehen ihm beim Verwesen zu. Kurzels Film zeigt die Maden sich am verrottenden Fleisch sammeln und davon zehren.

Selbst die Alt-Nazis verlieren die Kontrolle über die radikale Splittergruppe. Die neuen Anführer sind Redner, die in ihren Reden vom Handeln sprechen. Keine schimmernden Figuren, Allerweltsgesichter, denen man vertraut.

Nitram war verkopft und verliert manche(n) Zuschauer*in auf dem Weg der Subversion. The Order umfasst denselben Diskurs, doch findet im Genre eine Rahmenhandlung, die einem die Hände in den Sitz graben lässt. Justin Kurzel ist ein Regisseur, auf den wir ein Auge haben sollten. Seine vollkommen ungewohnt offenen Darstellungen von Tabu-Themen – Terror und Amok – verbunden mit seltsam einfühlsamen Bildern sind ein Novum in der Filmlandschaft. Wenn Kurzel seine Objekte in Flammen aufgehen lässt (in Nitram ein Auto, in The Order ein Haus), sollten wir besonders vorsichtig sein, denn vor unseren Augen brennt Ideologie nieder, nur um aus der Asche aufzuerstehen.

Gesehen auf dem Filmfestival Venedig 2024

Idaho, 1983: Eine Serie von blutigen Banküberfällen und Autodiebstählen hält die Einsatzkräfte auf Trab. Der einsame FBI-Agent Terry (Jude Law) kommt bald einer Gruppe von Neonazi -Terroristen um Anführer Robert (Nicholas Hoult) auf die Schliche, die hinter den Anschlägen stecken und einen Krieg gegen die amerikanische Regierung anzetteln wollen. (Quelle: Zurich Film Festival)

The Order (2024) | Film, Trailer, Kritik (2024)

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