Nach der Premiere in New York und London ist die neue Pocket-PC-Plattform am 26. April auch in Deutschland offiziell eingeführt worden. Compaq, Hewlett-Packard und Casio präsentierten neue und überarbeitete Geräte. Microsofts Beitrag zu der Initiative ist ein von Grund auf überarbeitetes Betriebssystem.Von CW-Mitarbeiter Wolfgang Miedl
Es ist nicht ungewöhnlich, dass Microsoft zur Profilierung eines neuen Produkts die gravierenden Schwächen des Vorgängermodells hervorhebt. Die kleine Schar der bisherigen CE-Anwender dürfte es dennoch mit Genugtuung zur Kenntnis genommen haben, als Richard Roy, Geschäftsführer der deutschen Microsoft-Dependance, bei der Präsentation von Pocket PC noch einmal die gravierenden Mängel von Windows CE 2.x Revue passieren ließ. Wer Microsoft kennt, weiß aber auch, dass die Redmonder oft genug mit der dritten Version einer Software die Kinderkrankeiten beseitigt und den Durchbruch geschafft haben. Nachdem bisher die Palms den Markt der Kleinrechner dominiert haben, erhoffen sich nun sowohl Microsoft als auch die PDA-Hersteller Compaq, Hewlett-Packard und Casio endlich den Ausbruch aus ihrer kleinen Marktnische.
Hinter der neuen Bezeichnung Pocket PC verbirgt sich nun das erste Derivat von Windows CE 3.0, das speziell auf den kleinen PDA-Formfaktor zugeschnitten ist. Damit sind alle Geräte gemeint, die etwa Handflächengröße, Stifteingabe und ein Display mit 320 x 240 Bildpunkten haben. Für die größeren, tastaturbasierten PDA-Klassen Handheld PC und Handheld PC Pro ist derzeit noch kein CE 3.0 in Sicht. Einer der Hersteller, HP, wollte sich bei der Pocket-PC-Premiere noch nicht äußern, ob und wann es die Tastatur-“Jornadas” mit CE 3.0 geben wird.
Windows CE ist ein eigenständiges 32-Bit-System, das modular aufgebaut und deutlich schlanker ist als die PC-basierten Systeme von Microsoft. Der Kernel, also der Systemkern, umfasst lediglich 300 KB. Ein Charakteristikum von CE ist, im Gegensatz zu Desktop-Systemen oder auch dem größeren Bruder Embedded NT, die sofortige Betriebsbereitschaft nach dem Einschalten ohne Boot-Zeiten. Selbst ein Reset – in der Vergangenheit aufgrund gewisser Instabilitäten kein seltenes Ritual – dauert bei Windows CE nur wenige Sekunden.
Die Redmonder haben sowohl das Betriebssystem selbst als auch die Benutzeroberfläche der Pocket PC einer gründlichen Überarbeitung unterzogen. Die Resultate können sich durchaus sehen lassen und dürften viele CE-Kritiker besänftigen. Ohne Hardware- oder Prozessoränderungen verspricht beispielsweise Compaq bei seinem von CE 2.11 auf 3.0 aufgerüsteten Modell “Aero 1550” mit Graustufen-Bildschirm einen Geschwindigkeitszuwachs von 30 Prozent. Auch die Renovierung der grafischen Benutzeroberfläche brachte etliche Vorteile.
Durch das Weglasssen von 3D-Fensterelementen wurde einerseits mehr Platz für Anwendungen geschaffen, andererseits der Bildschirmaufbau verbessert. CE-Anwendern wird die nahezu verzögerungsfreie Bedienung auf Anhieb auffallen, Casio redet hier von einem achtfach schnelleren Ansprechverhalten.
Bei der Bedienung haben sich die Redmonder von einigen auf dem PDA unpraktischen Windows-Konventionen verabschiedet. Das Startmenü ist nach oben gewandert und verschwindet bei laufender Anwendung. Auch der lästige Doppelklick mit dem Stift ist einem einfachen Tippen gewichen. Eine nützliche Neuerung ist ebenfalls das bisher nur vom Desktop bekannte Kontextmenü, das beim Halten des Stifts auf einem Element aufpoppt.
Auch unter der Haube hat Microsoft einige Anstrengungen unternommen. War CE bisher bereits Multitasking-fähig, so ist nun Multithreading hinzugekommen. Dadurch ist es beispielsweise möglich, das Adressbuch zu durchforsten, während im Hintergrund ein MP3-Song läuft. Verbessert wurden auch die Echtzeitfähigkeiten, die vor allem für den Industrieeinsatz von Bedeutung sind. Für den Bereich des Kernel sind zum Beispiel verschiedene Prioritätslevel für Interrupts eingeführt worden, was für zeitkritische Anwendungen zu einem feineren Ansprechverhalten führt. Ebenso wurde das Scheduling von Prozessen verbessert, statt bisher acht gibt es nun 256 Prioritätsstufen.
Eine wichtige Erweiterung ebenfalls auf Kernel-Ebene ist die Komponente für das Common Executable Format (CEF). Mit CEF, das vom Prinzip her mit dem plattformunabhängigen Java und den Java Virtual Machines (JVMs) vergleichbar ist, ist es Programierern nun möglich, eine einzige ausführbare Datei (Binary) zu kompilieren, die auf allen verfügbaren Prozessorplattformen laufen kann. Bisher musste wegen der Vielfalt der Prozessoren in den verschiedenen CE-Geräten jedes Programm in mehreren Binärformaten erstellt werden. Die Mehrzahl der Anwender ist damit jedoch völlig überfordert, weil die Wahl des richtigen Binärformats voraussetzt, dass man die CPU des PDAs kennt. Sorgfältige Programmierer lösen das Problem allerdings seit einiger Zeit mit Setup-Routinen, die bei der Installation automatisch das richtige Binary einspielen. Nach Aussage von Microsoft sollen CEF-Programme bis zu 80 Prozent der Geschwindigkeit von nativen Anwendungen erreichen und dabei nur um 20 Prozent größer sein.
Windows CE 3.0 ermöglicht umfangreichere Speichersysteme und Dateien. Objektspeicher, die sowohl Dateisysteme, Registrierung als auch Datenbanken umfassen, können statt bisher 16 MB nun einen Umfang von 256 MB haben. Die maximale Größe einer Datei erhöht sich auf 32 MB.
Viele Neuerungen wurden im Bereich Netzwerk/Internet eingeführt. Neu ist etwa das Simple Network Management Protocol (SNMP), das Administrationsarbeiten vom PDA aus ermöglicht. Das Dynamic Host Configuration Protocol (DHCP) mit Autonet erleichtert die Einbindung von CE-Geräten in IP-Netze. Für die Anbindung an Firmennetze von außen kann über Point-to-Point Tunneling Protocol (PPTP) ein Virtual Private Network (VPN) aufgebaut werden.
Mit dem “Pocket Internet Explorer” können Pocket-PC-Besitzer komfortabel im Web surfen. Während der Traum vom drahtlosen Web-Zugang über GSM durch die Beschränkung auf 9600 beziehungsweise 14 400 Bit pro Sekunde noch arg gebremst wird, können Anwender unterwegs immerhin mit Modems oder Netzwerkkarten in geeigneten Umgebungen breitbandigen Anschluss finden. Schon bisher war es möglich, mit Browsern von Drittanbietern im Web zu surfen. Wermutstropfen ist bei diesen Produkten jedoch die wenig praxistaugliche hochformatige Bildschirmdarstellung mit 320 x 240 Pixel. Microsoft hat daher einen besonderen Weg beschritten und eine Rendering-Engine spendiert, die Frames und Tabellen umbricht und untereinander darstellt und zudem Bilder skaliert. Mit einem einfachen Knopfdruck kann so beinahe jedes Web-Design auf eine halbwegs brauchbare Darstellung umformatiert werden. Der Browser entspricht dem HTML-3.2-Standard, bei Frames kennt er HTML 4.0.
Auch an den E-Commerce – der in diesem Rahmen zunehmend als M-(Mobile-)Commerce bezeichnet wird – hat die Gates-Truppe gedacht. Für sichere Transaktionen ist Secure-Sockets-Layer- (SSL-)Verschlüsselung mit 40 und 128 Bit integriert. Ebenso hat man eine Vielzahl weiterer Web-Technologien in den Browser eingebaut, einige davon – wie nicht anders zu erwarten – in der Microsoft-eigenen, proprietären Ausprägung. Neben Active X zählen dazu Jscript und Vbscript. Die XML-Fähigkeiten wurden vom “Internet Explorer 5” übernommen, die Algorithmen werden direkt auf dem Client ausgeführt. Um die noch eingeschränkten drahtlosen Online-Funktionen zu kompensieren, haben die Entwickler auch umfangreiche Offline-Browsing-Möglichkeiten eingebaut.
Ein Schlüssel zum Erfolg des Pocket PC dürfte für Microsoft sein, genügend Entwickler für die Plattform zu gewinnen. So hat sich das Unternehmen auch sichtlich bemüht, Programmierern den Einstieg so leicht wie möglich zu machen. CE 3.0 verfügt über eine Untermenge von etwa 1500 Win-32-APIs. Mit den “Embedded Visual Tools 3.0” wurde eine komplette, eigenständige Entwicklungsumgebung für CE erstellt. Enthalten sind darin Embedded Visual Basic sowie Embedded Visual C++, beides spezielle Versionen der bekannten gleichnamigen Desktop-Tools. Für den Aufbau und das Testen einer neuen CE-Plattform gibt es den “Platform Builder 3.0”.
Eine Vielzahl an mitgelieferten Anwendungen soll einen weiteren Anreiz zur Nutzung der CE-Plattform schaffen. Mit “Pocket Word” und “Pocket Excel” können Office-Anwender beispielsweise ihre Dateien in beschränktem Umfang auf dem PDA bearbeiten. Diese müssen dabei nicht mehr wie bisher von der Synchronisationsanwendung “Active Sync” während der Übertragung vom Desktop-PC konvertiert werden. Die Konversion auf die Pocket-Formate und zurück zum echten Office-Format erfolgt nun auf dem PDA von den Anwendungen selbst.
CE-PDAs integrieren sich nahtlos in Windows-Umgebungen, nach dem bekannten “Microsoft-only”-Prinzip. Mit der mitgelieferten PC-Anwendung “Active Sync” werden Kontakte, Termine, Aufgaben und E-Mails mit “Outlook” synchronisiert. Bei den meisten neuen Pocket PCs geht es mittlerweile dank USB deutlich schneller als über die serielle Schnittstelle. Outlook 2000 wird von den OEMs meist ebenfalls dazugepackt. Benutzer von Nicht-Windows-Plattformen haben wieder einmal das Nachsehen. Weder für Macintosh noch für Linux gibt es derzeit Synchronisationssoftware. Für Linux kursieren immerhin im Web einige Behelfslösungen. Anwender alternativer Mail- oder Groupware-Lösungen wie “Lotus Notes” müssen auf Produkte von Drittanbietern wie “Harmony” von Extended Systems zurückgreifen.
Alles in allem dürften Microsoft und die Hersteller von Pocket PCs mit diesem neuen Anlauf größere Chancen haben, gegen die omnipräsenten Palms Fuß zu fassen. Die bisher schwerwiegenden Unzulänglichkeiten wurden weitgehend beseitigt. CE 3.0 ist wesentlich schneller und komfortabler geworden als seine Vorgänger. Und auch den Hardwareherstellern, vor allem Compaq und HP mit ihren neugestalteten PDAs, ist es gelungen, sehr handliche und leichte Geräte anzubieten. Palm ist damit technisch deutlich ins Hintertreffen geraten. Es liegt nun an den PDA-Pionieren, mit dringend notwendigen Weiterentwicklungen die Zukunftsfähigkeit ihrer Produkte unter Beweis zu stellen.
Pocket PCs sollen Unternehmen erobern”Der Pocket PC ist ein Unterhaltungsgerät”, kommentierte Ken Dulaney von der Gartner-Group die CE-3.0-Premiere. Er fügte aber hinzu, dass “Unternehmen solche Unterhaltungsgeräte unterstützen müssen, weil immer mehr Anwender auf Unternehmensdaten von unterwegs zugreifen wollen”. Microsoft setzt genau auf diese zweigleisige Strategie und verstärkt seine Anstrengungen, um die Multimedia-Winzlinge im Unternehmensbereich zu etablieren.
Ein Schritt in diese Richtung ist die Zusammenarbeit mit SAP, bei der die beiden Unternehmen Mysap.com-Lösungen für den Pocket PC realisieren. Es soll dabei nicht nur um die Portierung bestimmter Anwendungen gehen. Vielmehr sollen Entwickler Client-Software erstellen können, die die Anbindung über das Web an R/3-Applikationen ermöglicht. SAPs Mobile-Data-Framework-(MDF-)Toolkit wurde dazu bereits auf die CE-Plattform portiert. MDF nutzt besondere Fähigkeiten des “Pocket Internet Explorer” wie Secure Sockets Layer (SSL) und XML.
Ende Juni will Microsoft außerdem die erste Testversion einer mobilen Datenbank veröffentlichen. Der “SQL Server 2000 Windows CE Edition” soll dann im dritten Quartal auf den Markt kommen und auch für Settop-Boxen und Industrierechner geeignet sein. Die klassischen Datenbankanbieter (Oracle, IBM, Sybase, Informix) haben ebenfalls seit geraumer Zeit abgespeckte Portable-Versionen ihrer Produkte im Angebot – auch für Palm-PDAs.
Mir Symbol Technologies konnte Microsoft auf der Pocket-PC-Premiere auch einen Hersteller präsentieren, der speziell auf die Bedürfnisse in der Industrie zugeschnittene PDAs liefert. Symbol stellt so genannte Ruggedized-PDAs her, die einerseits stoßfest und spritzwassergeschützt sind und andererseits einen Barcodeleser und verschiedene drahtlose Übertragungsvorrichtungen integriert haben. Als Vorzeigekunden kann Symbol den Autovermieter Avis vorweisen.
Um die breite Unterstützung von Pocket PC unter Beweis zu stellen, hat Microsoft bei der Premiere eine lange Liste von Softwareherstellern und Systemintegratoren präsentiert. Palm konterte sofort. Das Unternehmen wie es darauf hin, dass man nicht nur – wie Microsoft – Vereinbarungen besitze, sondern über einen Pool von 60000 aktiven Softwarepartnern verfüge.
Dennoch scheint das Interesse aus der Industrie an CE 3.0 deutlich zuzunehmen. So sagte etwa Keith McNally, President des Systemhauses Ameranth in San Diego: “Wir verzeichnen bereits eine enorme Nachfrage von Unternehmen, die an drahtlosen Lösungen auf Pocket-PC-Basis interessiert sind.” Ameranth entwickelt derzeit ein Pocket-PC-System für die Starwood-Hotelkette.
Prozessorenfür Windows CEARM x20T,
Mips 16, 39xx, 41xx, 4300,
Hitachi SH3, SH4,
Power PC PPC403GC, PPC8xx,
x86 (486 bis Pentium II).
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